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Mennel Smirnova Teaser

Manifestations – Manifestationen – ist ein Begriff, der sowohl im spirituellen als auch im künstlerischen Kontext eine Vielzahl von Bedeutungen birgt. Es geht um das Sichtbarmachen des Unsichtbaren, das Erscheinen von Gedanken und Gefühlen in der physischen Welt. Die Werke von Julia Smirnova und Wolfgang Mennel sind genau das: Manifestationen ihrer inneren Welten, ihrer Wahrnehmungen, ihrer Erfahrungen und ihrer Auseinandersetzung mit der Realität. Ausgang war der Arbeitstitel „apparitions“, der etwas ungreifbar ist, auf Erscheinungen, vielleicht auch auf etwas „Unheimliches“ hinweist, mit diesem Begriff könnte man schon spielen. Die beiden Künstler haben sich schnell auf Manifestations geeinigt und in sorgfältiger und sehr harmonischer Weise ihre Ausstellung komponiert. Diese Ausstellung zeigt eine Art Spiel mit der Frage der Verdinglichmachung von Erscheinungen und Formen, Erinnerungen oder Gedächtnismomenten. Bei Julia Smirnovas Objektarbeiten sehen wir diese Überlegung mit ihren filigranen, feinen, sehr ästhetischen, zeitaufwändigen Arbeiten aus Kupferdraht, den sie umwandelt in Gestalten und Formen, die an Anemonen, Medusen, Tiergestalten oder Wesen einer anderen Welt erinnern. Bei Wolfgang Mennel sehen wir die Auseinandersetzung mit der Fotografie und der Wahrnehmung der Welt, ein Versuch der Greifbarmachung von Erinnerung oder Erinnerungserfahrung mit verschiedenen Medienübersetzungen. Ein Portrait wird mittels Fotografie erstellt, aber wieder verfremdet und diese Verfremdung fotografiert und archiviert. Dinge, die uns ausmachen und unsere Identität formen, werden bald nicht mehr vorhanden sein, sie werden vor ihrem Aussortiertwerden aber sorgsam in den Mittelpunkt gestellt und durch Fotografie archiviert, gehen also nicht verloren. Ihre Anziehungskraft bleibt, das Erinnern wird provoziert, nicht durch das Ding an sich und seine Funktion und tatsächliche Anwendbarkeit im Hier und Jetzt, sondern durch die Erinnerung daran, als Anhaltspunkt, was das Ding mal war, einem einmal war. Wolfgang Mennel fotografiert seine Umwelt und die Menschen und Dinge darin, um zu begreifen, was er eigentlich sieht. Mit der Fotografie will der Mensch etwas fixieren, etwas manifestieren, festhalten, meist möglichst real, andererseits heutzutage gern optimiert. Bei Wolfgang Mennel aber ist das Medium Fotografie auch Mittel zur Auseinandersetzung mit dem fotografischen, aber auch dem Erinnerungsprozess und wie das Nachbilden nicht einfach eins zu eins funktionieren kann, das wäre ihm zu wenig komplex, sondern wie es wirkt, wenn es nicht eindeutig ist – etwas Ordner und Akten, die farblich nebeneinander sortiert sind, und in Unschärfe wiedergegeben eine abstrakte Bildlichkeit entwickeln. Wie betrachten wir Kunst? Siri Hustvedt hat dazu viel geschrieben, wie wir uns mitnehmen, unsere Vorstellungen der Welt, der eigenen Identität, der Wahrnehmung und der Übersetzung von faktischer Dinglichkeit ins Künstlerische. „Ich habe eine sehr intersubjektive Art, Kunst zu betrachten … Für mich ist es ein Dialog zwischen den Spuren eines Bewusstseins und meinem eigenen Bewusstsein.“, sagt sie etwa in ihren Aufsätzen. Oder: „Jedes Gemälde ist immer zwei Gemälde: Das eine, das du siehst, und das, an das du dich erinnerst.“ Und: „Wenn ich ein Gemälde betrachte, bin ich oft tief berührt von den Überresten der Geste des Künstlers oder dem Gefühl seiner Bewegung, jetzt erstarrt.“ Das kann auch für Fotografische Arbeiten oder Objekte gelten. Die scheinbare Erstarrung des Kunstobjekts löst sich im Betrachter wieder auf, und manchmal, zumindest bei Julia Smirnovas Objektarbeiten, meint man, das Objekt ist belebt und wird sich bewegen, weil man es erwartet. Man füllt die Objekte mit Leben in der eigenen Vorstellung und sieht, wenn man sie genau betrachtet, wie sie in ihrer scheinbaren Verfestigung im Material doch Gestalt und Leben angenommen haben. Das macht die Faszination beider Werkgruppen von Smirnova und Mennel aus. Sie ergeben einen Dialog untereinander, aber auch mit dem Betrachter. Kurz zu den Künstlern: Julia Smirnova (geboren 1981 in Russland) studierte Fotodesign an der Fachhochschule München (Diplom 2007) und Malerei und Grafik an der Akademie der bildenden Künste München bei Günter Förg und Jean-Marc Bustamante (Diplom 2015). Sie verbrachte zwei längere Arbeitsaufenthalte in Kalkutta (2005-2007) und in Paris (2010-2012). Seit 2003 lebt und arbeitet sie in München. Ihre Werke befinden sich unter anderem in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung (Pinakothek) in München, im Frances Lehman Loeb Art Center in Poughkeepsie, New York, USA und im Kiyosato Museum of Photographic Arts (K’MoPA) in Japan. Für ihre Arbeit erhielt sie verschiedene Auszeichnungen, wie das Maker Space Stipendium (2024), den Krumbacher Kunstpreis (2022), den VII. Ellwangen Kunstpreis (2019) und den Förderpreis der Landeshauptstadt München (2013). Darüber hinaus war sie für viele Preise nominiert, u.a. für den Lacoste Elysee Prize, Katapult Award, GetPublished Award und Canon-Profifoto Award. Ihre Werke sind in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland vertreten. Wolfgang Mennel ist Künstler mit verschiedenen Arbeitsgebieten im biografischen Nacheinander: Maler, Fotograf, Buchillustrator, Bühnenautor, Bühnenbildner, Installationskünstler, Grafiker, Mediengestalter, Webdesigner. *1955 in Quedlinburg, lebt in Ziemetshausen bei Augsburg. Atelier in Augsburg 1979-1984 Studium in Heidelberg und München: Germanistik, Völkerkunde, Volkskunde; seither freischaffend als Autor, Mediengestalter und Bildender Künstler. 1996 Stipendium Dramatikerwerkstatt, Bundesakademie Wolfenbüttel 1999 Gebrüder Grimm Preis des Landes Berlin 2002-2004 Atelierförderung des Bayerischen Staates 2004 Kunstpreis der Stadt Krumbach Kunstpreis der Stadt Donauwörth 2005 Kunstpreis des KV Bad Wörishofen beim Kunstfrühling Kunstpreis der Stadt Wertingen 2011 Mittelschwäbischer Kunstpreis, Landkreis Günzburg Kunstpreis der Stadt Bad Wörishofen 2012 Grafikpreis der Stadt Senden Familie Paul Breitkopf-Preis, Marktoberdorf Ausstellungen (Auswahl) 2024 schwarz-weiß, Fotoausstellung, kuratiert von W. Mennel, mit Werken von M. Gessler, E. Hagenmaier, A. Hoesle,C. Rehm, B. Tenschert, M. Tichy, J. Eger, J. Smirnova, J. Havlik, W. Mennel, L. Felle, B. u. A. Blume und J. Thoma. Mittelschwäbisches Heimatmuseum, Krumbach (K) 2022 tritonus, zusammen mit Michael Schreiner und Jochen Eger, Kunstverein Bobingen 2018 landschaften, Museum Zusmarshausen (E) 2018 gegenwART, Städtische GalerieWertingen (G) 2017 Bewahren, Recyclen, Sammeln, Schwäbische Galerie im Museum Oberschönenfeld (G) 2017 pathosgeste Installation, zusammen mit Bernd Rummert, St. Mang-Kirche, Kempten 2017 pathosgeste und 7 reflexiv, Installation und Objekt, zusammen mit Bernd Rummert, Hoher Dom zu Augsburg und Katholisch Heilig Kreuz / Aschermittwoch der Künstler der Diözese Augsburg 2016 mare nostrum, Einzelausstellung, Mittelschwäbisches Heimatmusuem Krumbach (E) […] Als ich angefangen habe, diese Ausstellung zu kuratieren, und ich auch die Möglichkeit dazu bekommen habe, habe ich sofort an Julia und Wolfang gedacht. Wolfgang kenne ich schon lange als Künstler, Julia habe ich letztes Jahr im Heimatmuseum Krumbach während einer Fotografieausstellung kennengelernt. Dort war sie mit Fotografien vertreten. Ihr fotografischen Arbeiten sind genauso fein und sorgfältig komponiert wie ihre Objektarbeiten, aber es waren ihre Objekte, die ich so faszinierend fand. Wolfgangs Fotoarbeiten, die manchmal auch eine Verbindung mit anderen Materialien eingehen, um die Frage nach Präsentation und Repräsentation zu stellen, sind vielfältig und hier auch gut in ihrer Bandbreite zu sehen. Was passiert, wenn diese beiden Künstler ihre Arbeiten gemeinsam zeigen? Ein Dialog zwischen zwei Welten, die sich ergänzen, aber auch in gewisser Weise widersprechen. […] In diesem Spannungsfeld entsteht eine neue, faszinierende Dimension. „Manifestations“ wird so zu einer Erkundung der Fragen, die uns als Menschen und als Gesellschaft bewegen: Wie verhalten sich das Materielle und das Immaterielle? Wie spüren wir den Raum zwischen den Dingen und den Ideen? Und vor allem: Wie drücken wir uns als Individuen in einer Welt aus, die zunehmend von Komplexität und Widersprüchlichkeit geprägt ist? Diese Ausstellung lädt uns nicht nur ein, die Werke zu betrachten, sondern sie fordert uns auf, uns mit unserer eigenen Wahrnehmung auseinanderzusetzen. Sie fordert uns heraus, uns mit der Idee der „Manifestation“ auseinanderzusetzen: Was bedeutet es, dass etwas „sichtbar“ wird, dass etwas „Gestalt annimmt“? Was ist der Akt des Manifestierens – in der Kunst, im Leben, in der Gesellschaft? In diesem Sinne möchte ich nicht nur den beiden Künstlern danken, dass sie uns diese tiefgründige Auseinandersetzung ermöglichen, sondern auch allen, die es uns ermöglichen, diese Werke zu erleben. Kunst ist immer auch ein kollektiver Akt des Teilens und des Dialogs – und heute treten wir in diesen Dialog ein. Ich danke nicht zuletzt Jana Schwindel, Oliver Kautz und dem gesamten Beirat und dem Vorstand der Ecke für die Unterstützung und das Vertrauen und allen für die wunderbare Zusammenarbeit. Julia Smirnova, Wolfgang Mennel, ich gratuliere euch herzlich zu dieser außergewöhnlichen Ausstellung und danke euch für eure unermüdliche, inspirierende Arbeit. Möge „Manifestations“ für uns alle eine Einladung sein, die Welt immer wieder neu zu sehen und in all ihrer Komplexität und Schönheit zu begreifen.“

Textauszüge aus der Eröffnungsrede von Jo Thoma, Künstlerin und Kuratorin der Ausstellung

manifestations

Ecke-Galerie, Augsburg

3.10. - 3010.2025